Ich kann gerade nicht mehr positiv. Wobei „positiv“ ja im Augenblick negativ ist und „negativ“ wiederum positiv. Schon das allein müsste genügen, um sich den Spaten zu schnappen und besser den heimischen Garten umzugraben. Denn dort bleibt zumindest ein Regenwurm ein Regenwurm und ist nach neuesten Erkenntnissen keine Würfelnatter. Oder Holz hacken, wie dereinst Adriano Celentano an der Seite von Ornella Muti. Habe ich letzte Woche probiert, die Sache mit dem Holz. Es hilft zumindest partiell. Leider steht der Kamin, in dem ich es verfeuern könnte, im Café. Ich könnte ihn jetzt völlig ohne Anspannung und Zeitdruck genießen, wahrscheinlich noch bis in den übernächsten Winter, wenn ich die Lage dort draußen kritisch beobachte. Und an diesem Punkt sollte man darüber nachdenken, beim Nachbarn zu klingeln, ob er zufälligerweise noch einen Haufen Gesägtes irgendwo in der Ecke liegen hat. Vielleicht fällt das ja auch irgendwie unter Daseinsfürsorge? Ansonsten müsste er das Holz über den Zaun werfen. Ich werfe es gehackt zurück. Das könnten wir dann unter „Gruppe im Rahmen des Sportbetriebes“ verbuchen. Wenn jeder auf seiner Scholle bleibt, ist es eigentlich auch Wurscht mit der Gruppe und den Haushalten und so weiter. Ich bin mir im Augenblick nicht sicher, inwieweit ich überhaupt noch Lust dazu verspüre, mich zu diesem Thema zu äußern. Irgendwie haben wir, wann war das doch gleich, einmal gedacht, es würde vorübergehen. Zwischenzeitlich habe ich den Gedanken daran so etwas wie archiviert oder sollte ich besser sagen gleich entsorgt? Das, wovon wir glaubten, dass es vorüberginge, ist zum Dauerzustand geworden. Und ich habe parallel zum Verlauf dazu dauerhaft Halsschmerzen. Nein, nicht unser Virus ist der Verursacher. Zumindest ist es das nicht direkt. Man kann dem armen kleinen Kerl ja, nun doch weiß Gott, nicht für alles die Schuld in die Schuhe schieben. Schuld – ein großes Wort. Und hoffentlich hat das Virus kleine Füße und trägt Kinderschuhe. Weil ansonsten hat es Schwierigkeiten neue zu bekommen, wenn es vom vielen Herumtoben die Sohlen durchgelaufen hat. Es sei denn, es kauft sie in einem der Supermärkte, wo kontaktlos egal ist und deren Sortiment im Augenblick aufblüht, oder besser gleich noch online. Aber wenn ich die Maßnahmen und Einschränkungen richtig verstehe, mag es Supermärkte ja sowieso nicht so gern, eher den Einzelhandel. Weswegen dieser, wenn nicht ganz geschlossen, unter sehr eigenartigen Bedingungen öffnen darf. Dabei überlege ich, wann die Einzelhändler, die ich kenne, jemals so überrannt worden wären, dass man hier eine Gefahr auch nur vermuten könnte. Mancher träumte seit Jahren von dieser Kundenflut, dann, wenn sich im besten Falle zehn Kunden, über acht Stunden verteilt, in das Geschäft verirrten.
Die Schmerzen. Sie liegen bei mir im hinteren Bereich des Halses und stellen sich ohne unmittelbares Zutun des winzigen Erdenmitbewohners ganz von selbst ein. Ich sitze nahezu täglich kopfschüttelnd vor neuen spritzigen Ideen unserer politischen Entscheidungsträger.
Vor Monaten gelang es mir zumindest, mich an Teilen der uns umgebenden Kuriositäten, na ja ich will mal sagen, zu erheitern. Wer kennt sie nicht, die Geschichten, die uns täglich aus den Medien entgegenspringen? Und ich konsumiere wirklich nur gezielt und äußerst maßvoll. Aber selbst das ist irgendwie an manchen Tagen schon zu viel des Guten. Während ich, mir noch mehrfach die Augen wischend, festzustellen versuchte, ob es vielleicht doch am fortschreitenden Alter liegen und ich einfach nur etwas falsch interpretiert haben könnte, stellte sich das Meiste irgendwie dann doch als Realität oder nüchterne Wahrheit heraus. Heute kann ich eigentlich nur beschreiben, wie ich nahezu fassungslos vor meinem elektronischen Gerät sitze und in einen chaotischen Wust von Verordnungen blicke. Ich bin an der Stelle angelangt, an welcher ich nicht mehr weiß, wo ich noch ansetzen soll.
Vielleicht greife ich mir einfach ein paar besonders prachtvolle Stücke aus dem Gespinst der
Deutschen Verordnungs- und Allgemeinverfügungskunst heraus?
Wenn wir zusammensitzen – also saßen, dürfen wir ja im Landkreis gerade wieder nicht mehr, nur noch telefonieren –, dann unter Einhaltung der AHA-Regeln mit Abstand und Maske und nach jedem Telefonat tauchen wir unser Telefon in Desinfektionsmittel und lüften die Küche. Vorsorglich, wenn der Nächste anruft, auf dem anderen Telefon, für den Fall, dass wir ein Gerät zu Tode desinfiziert haben. Dazwischen lesen wir die neuen Verordnungen, nach Möglichkeit auch die der angrenzenden Bundesländer. Oder sollten wir besser noch ein Landkreis-Splitting vornehmen, die eigenständigen Kreisfreien Städte nicht zu vergessen. Und hat irgendjemand schon über Grenzkontrollen nach Sachsen nachgedacht? Oder nach Gera? Das würde ja auch schon reichen. Der kleine Grenzverkehr in die Nachbarstadt, am Rande zur Illegalität. Nur Spanien geht. Das ist nicht so schlimm, frei von Risiken und Nebenwirkungen. Zumindest aktuell.
Aber an dieser Stelle zurück: Vielleicht will ja gar keiner mehr hierher. Grundsätzlich, auch ohne Hotspot. Wir sterben als Landkreis ja ohnehin schon seit Jahren still und leise vor uns hin, auch ohne das Virus, dessen Namen ich nicht mehr nennen möchte, ohne dass sich ein Würgereflex in meiner Halsmuskulatur bemerkbar macht. Das Virus funktioniert hier eigentlich nur als eine Art Brandbeschleuniger. Es geht, mit ihm an der Seite, etwas zügiger voran. Und hiermit meine ich, mal abgesehen von allem anderen, in allererster Hinsicht das Sterben dieser Region. Im Pflegebett sind wir ja nun mal, ohne es mies machen zu wollen, angekommen. An Schläuchen und Überwachungsmaschinen: Erstere notversorgen uns, mit finanziellen Mitteln, die Zweiten regulieren und beobachten unser Durchhalten. Tröpfchenweise Infusionen in Form von Landeszuweisungen, die da nicht Schnürbein oder Rumpelstilzchen heißen, sondern Demografieansatz (es sterben mehr, als hier noch geboren werden) oder Mehrbelastungsausgleich. Klar, wer sollte hier auch noch Kinder bekommen? Das würde ja erst einmal voraussetzen, dass sich hier Menschen ansiedeln, die irgendwie im zeugungsfähigen Alter wären. Thema Demografie, das geht (bisher) rein wissenschaftlich und biologisch betrachtet nicht bis ins Endlose. Irgendwann ist Sense. Also, normalerweise ist Sense. Aber das ist schon wieder ein neues Thema und ich verrenne mich gerade wieder. Das Problem dabei ist, dass man nicht eines losgelöst vom anderen betrachten kann. Eines greift ins andere, ein Räderwerk ein Mechanismus. Und ich springe so gern. Seit die großen Sprünge im März des vergangenen Jahres ein ach so abruptes Ende fanden, versuche ich es mit den etwas kleineren, über die Tastatur. Back to the roots, an dieser Stelle.
Also zu Deutsch, zurück auf den Anfang.
Ein befreundetes Pärchen macht sich neuerdings immer ein Vergnügen beim Verlassen des Hauses. Er hält ihr, ganz old school, die Tür auf, begleitet von einem: „Eure Inzidenz.“
Uns schmerzt das Zwerchfell vom Lachen darüber. Jetzt könnte man sagen, wir nähmen die Sache nicht ernst. Ja, vielleicht ist das sogar in Ansätzen so. Ich schließe das nicht aus, dass das über die Monate der Ungewissheit zur (Über-)Lebensstrategie für uns geworden ist, um nicht durchzudrehen oder vollkommen zu verzweifeln. Die Monate, die wir (als Selbständige) am Tropf der staatlichen Mittel zubringen, gefüllt mit einer Nährlösung, die uns künstlich am Leben erhält. Branchen im Wachkoma, auf der Intensivstation, zwischengeparkt. Täglich tagt die Ärztekommission über unser aller Schicksal. Wobei ein guter Freund mir vor einigen Tagen schrieb: „Hey, ich habe gerade den „Thüringer Orientierungsrahmen – Weg aus der Corona-Krise“ durchgearbeitet. Das Wort „Gastronomie“ taucht hierbei sogar ein einziges Mal auf.“ In einem kleinen, scheuen Augenblick flammte wahrscheinlich bei irgendwem ein romantischer Abend in einem Lieblingslokal, aus einer anderen Zeitrechnung, in blassblauen Farben und mit etwas Wehmut, kurz in der Erinnerung auf. Dazwischen liegt schon einmal die Vorankündigung zur abschließenden Prüfung der Kurzarbeit im Briefkasten. Ganz klar! Warum Kurzarbeit? Wir könnten ja Kuchen zum Fenster hinaus verkaufen, am besten zu zweit, das hebt die Stimmung mit Abstand und Maske. (Das Fenster zum Lüften ist ja schon offen.) Einer führt das Messer zum Schneiden, der andere hält den Teller fest. Das ist ja fast so, wie – nein ich sage es nicht.
Die Masken, die wir dabei tragen, sind hoffentlich ethisch korrekt und affärenfrei. Aber zumindest liefert mir das die Erklärung, warum der Stofffetzen für den OP aus industrieller Herstellung meine Stoffmaske – handgenäht - aus dem kleinen Einzelhandelsgeschäft ersetzen musste. Diese hängt nun wie ein Relikt aus einer anderen Zeit am Spiegel meines Autos. Fast schon sehne ich mich danach. Sie war zumindest individuell. Ich resümiere vor mich hin, Zeit habe ich ja, wie gehabt: „Hoffentlich kämen dann auch ein paar kaufwillige Kunden vorbei. Wir haben ja Ausgangsbeschränkung im Landkreis. Da ist es besser, gleich nach Mallorca zu fliegen. Die Leute buchen ja – ein Buchungshype im Internet. Aber wohl weniger im Reisebüro, wie die Tageszeitung heute schreibt.“ Ich sinniere weiter vor mich hin, ob das der Vernunft des Zuhausebleibens oder doch mehr der wachsenden Bequemlichkeit zuzuschreiben ist. Na ja, wer vernünftig zu Hause bleibt, reist eigentlich auch nicht. Also doch mehr bequem. Was machen, in diesem Zusammenhang nachgefragt, eigentlich die Reisebüros? Unseres verkauft seit dem Winter Produkte von der Zirbe. Mich wundert es, dass der örtliche Drogerie-Markt sich noch nicht wegen Wettbewerbsverzerrung beschwert hat. Aber Zirbe ist ja nicht gleich Latschenkiefer. Ich hatte irgendwie Mitleid, als ich das handgeschriebene Schild, vor Monaten, zum ersten Mal im Schaufenster stehen sah.
Gut, dann fliege ich eben Ostern auf Malle, auch schön. Dann mal keine Ostsee in diesem Jahr. Und auch der Vogtlandkreis – vielleicht zumindest als kleiner Tagesausflug – gleich um die Ecke ist tabu. Weil schwarz auf der Karte – Risikogebiet, so wie wir auch.
Die Tatsachen: Ich bin zu Hause. Ich habe Zeit. Ich könnte verreisen. Theoretisch. Und es soll tatsächlich Mitmenschen geben, die einen darum allen Ernstes beneiden. Nur dass eben nicht ich fliege und wahrscheinlich werden dies auch all die anderen aus meiner (und auch noch ein paar anderen) Branche nicht tun, die zwar über die Zeit dazu, aber nicht über das dafür nötige Kleingeld verfügen. Neun Monate im Stillstand gehen nicht spurlos vorüber, trotz lebenserhaltender Maßnahmen. So sitzen wir in jeder Hinsicht in der Zuschauerperspektive. Aber bitte mit Abstand!
Und ganz am Rande bin ich gespannt darauf, auf wessen Konto das fröhliche Beisammensein aller Herren Länder in den wenigen „Nichtrisikogebieten“ ab Ostern letzten Endes gehen wird?! Ich frage mich hier ganz laut und offen: Wer zahlt den Preis? Die, die ihr Stückchen Freiheit, weil sie es können, ausleben? Oder die, die die Entscheidung hierfür getroffen haben? Und wie lautet die Währung in der hier abgerechnet wird? Euro oder Existenz?
Oder sind es diejenigen, die in der Summe seit letztem Jahr bereits acht oder neun Monate geschlossen haben? Die, über die eigentlich jetzt schon keiner mehr spricht. Und trotz dieser Schließungen steigen die Zahlen weiter. Und in Folge ist es vielleicht doch sicherer, die heimische Kultur, den Einzelhandel, Hotels und Gaststätten noch eine Weile geschlossen zu halten. Man weiß ja nie und sicher ist sicher.
Und wer jetzt meint, ich wäre negativ, dann ist das ja positiv.
Man muss es sich nur schönreden. Dann passt es schon irgendwie.
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Si Mandl (Samstag, 20 März 2021 07:48)
Sehr schön gesprochen weder negativ noch positiv einfach mal so wie es ist!