"Zur letzten Einkehr"

„Zur letzten Einkehr“

 

Es ist erst ein paar wenige Tage her, dass unser Bundesminister für Auswärtiges – Herr Maas – allen Ernstes und auch noch laut äußerte, man müsse Menschen mit erhaltener Corona-Impfung früher als den anderen Nichtgeimpften den Besuch oder auch Zugang zu Restaurants und Kultur erlauben.

Diese These erregte schon einmal, als davon irgendwie direkt Betroffene, meine Aufmerksamkeit.

Um nicht zu sagen: Ich fand schon allein den Satz spannend. Bis hin zu einer doch recht abenteuerlichen Vorstellung. Und das hat in erster Linie rein gar nichts damit zu tun, dass ich diesen Menschen ihre wieder gewonnene Freiheit nicht wirklich wünschen würde.

 

Dass diese Aussage nicht zwangsläufig auf allgemein ausbrechenden Jubel unter den Kulturschaffenden und Restaurant-Besitzern führen würde, konnte man sich ja vielleicht denken.

Auch sind die Bedenken, die unser Bundesinnenminister – Herr Seehofer – dazu äußerte, ganz grundsätzlich, nicht von der Hand zu weisen. Er warnte vor einer drohenden Spaltung unserer Gesellschaft.

 

Ich will nicht auf den Gaul der drohenden Spaltung einer Gesellschaft aufspringen. Diese Aussage bezeichnet eine Möglichkeit in der Zukunft; etwas, womit man rechnen muss, da es unter gewissen Umständen eintreten könnte.

Wobei ich für mich, insbesondere mit dem Fortschreiten der Zeit, festzustellen glaube: Diese Gesellschaft ist längst gespalten. Davor muss sich nun wirklich keiner mehr fürchten, zumindest nicht zukünftig. Die Zukunft ist in diesem Falle bereits Gegenwart und der Gaul ist irgendwie ganz nebenher durchgegangen. Ich möchte hier nicht von bewusster Spaltung sprechen, manchmal sind es auch einfach nur die Risiken und Nebenwirkungen, mit denen der Patient – sprich die Bevölkerung – in Folge leben muss. Die ihre Wirkungen ungehindert entfalten und dabei das gesamte Portfolio der Möglichkeiten bedienen.

Nein, auch Langzeitstudien für Entscheidungen waren mit Sicherheit nicht möglich. Eine Entscheidung muss man häufig ad hoc und schnellstmöglich treffen. Sonst hat sich die Grundlage dafür bereits wieder geändert, was auch so immer noch geschehen kann, und dann ist eben alles wieder anders oder manchmal auch im Nachgang falsch oder zunichte.

 

Es würde sich daher auch nichts Gravierendes in Bezug auf die Gesellschaft und ihre sie bereits durchziehenden Klüfte verändern. Es wäre einfach nur noch ein Riss mehr, der sich durch ihre Ränder oder auch durch ihre Mitte ziehen würde. Einer unter schon zig vorhandenen, ein weiterer unter vielen.

 

Das spiegelt die eine Seite, die theoretische, die politisch durchzogene wider. Sie stellt die Ausgangslage dar. Auf sie gründet sich alles andere.

Man kann das Ganze in theoretische Vermittlung und die praktische Umsetzung aufteilen

und spätestens an dieser Stelle wird das entstehende Konstrukt für alle daran Beteiligten

hochspannend. Ob wir hier von temporären Ausnahmeregelungen reden oder ob wir in einen Dauerzustand sanft hinübergleiten, bliebe ebenso zu hinterfragen.

 

Da ich leider über eine recht rege Phantasie verfüge, zeichne ich mir schon jetzt die Zukunftsvision

meines Geschäftes in den schillerndsten Farben.

Ich sehe achtzig- bis einhundertzehnjährige Gäste sitzen. Unaufgefordert haben sie mir beim Betreten meines Cafés ihren gültigen Impfausweis entgegengestreckt. Das Dokument, das sie zu Gewinnern macht. Wenn ich das Ganze noch unter dem, nicht unter den Teppich zu kehrenden, Aspekt der demografischen Entwicklung betrachte, habe ich, zumindest in der Theorie, für die nächsten Jahre nichts zu befürchten. Mein Publikum wird sich, im Gegensatz zu vor einem Jahr, drastisch verändern und es wird sich vergrößern (im Gegenzuge zu den Jüngeren).

Die ebenso geimpften Pflegekräfte – als Begleitpersonen – werden das Durchschnittsalter ein wenig herabsenken.

Die, die noch nicht an der Reihe sind, denen die Relevanz fehlt oder Menschen, die sich niemals oder zumindest nicht sofort impfen lassen möchten, aus Gründen, die an dieser Stelle vielfältig sein mögen, werden mit traurigen Augen vor den Fenstern stehen.

Sie werden ihren Großeltern und Urgroßeltern zuwinken und ein bisschen Sehnsucht wird ihnen ins Gesicht geschrieben sein. Die Alten nehmen im Gehen afrikanischen und fair gehandelten Kaffee (to go) und in umweltgerechte Verpackungen gehüllten Biokuchen in den Körben ihrer Rollatoren für ihre Lieben, die seit Stunden frierend dort draußen verharren und Opfer der nächsten Grippewelle sein werden, mit. (Ich habe kein demografisch angepasstes Word stelle ich gerade fest, es kennt das Wort Rollator nicht.)

Die Anzeigenblätter voll von: „Suche Mann/Frau/divers, liebevoll und häuslich mit gültigem Impfpass für ein Kaffeetrinken zu zweit und mehr.“  Man geht in Zukunft nicht mehr mit demjenigen aus, mit dem man es gerne wöllte, man greift sich den, der nicht vor den Toren der Gesellschaft stehen bleiben muss.

Es wird sich ein Schwarzmarkt der Impfpässe und Irrationalitäten entwickeln. Genauso wird es werden.

 

Es wird sich die Spaltung durch Familienfeiern ziehen, morgen und übermorgen und in den Jahren, die folgen.  Was durchaus positiv sein kann. Es macht lästige Ausreden gegenüber der Verwandtschaft endlich überflüssig. Keine Impfung, keine Einladung. Ach wie schade, Tante Erna, Onkel Hubert.

Es wäre doch so schön gewesen …

Aber vielleicht gehe ich ja hier doch zu weit? Obwohl …

 

Im besten Falle sind das nur die Ausnahmen, wobei, wenn ich die Entwicklung zwischenmenschlich betrachte …? Die Krater, die Risse, die Kluft …

 

Egal, wie viel schwarzer Humor hierbei einfließt, die Realität ist so nur schwer vorstellbar.

Ich kann es am besten immer in Bezug auf meine eigene Wirklichkeit betrachten und dabei sehe ich mich, Impfausweise kontrollierend, mit einem, sagen wir mal vorsichtig, einseitigen Publikum. Geteilte oder gar nicht mehr stattfindende Familienfeiern, Kollegentreffen, egal was – die Aufzählung kann man ins Endlose treiben.

 

Bezahlt die Krankenkasse Rehabilitations-Kaffeetrinken? Jede Woche eine Stunde?

Auf Verordnung vom Arzt? Gegen Vereinsamung und als Solibeitrag für die dann wohl wieder geöffneten, aber sehr, sehr leeren Häuser von Kultur und Gastronomie. Stopft der Staat die entstehenden Löcher weiter und für wie lange soll das aufgehen?

Es glaubt doch nicht wirklich jemand ernsthaft daran, dass dies ein Kriterium für dann zwar theoretisch mögliches, aber in der Umsetzung zutiefst absurdes, der Situation angepasstes

Verhalten sein kann.

Hier bin ich voll und ganz Antagonist.

In wessen Verantwortung liegen eigentlich die Ungeimpften, die sich einschleichen werden, mit gefälschtem oder geborgtem Dokument mit all den daraus möglichen Folgen?

 

Und dabei stellt sich immer noch nicht die Frage: Können meine Gäste mich infizieren? Denn endgültig geklärt ist ja dieses wohl auch noch nicht.

Vielleicht sollte ich ja darüber nachdenken, eine neue Kellnerin einzustellen.

Einzige Voraussetzung: Mindestalter achtzig Jahre.

Sie erfüllt bei genauer Betrachtung in Zukunft so ziemlich alles Grundlegende, was es braucht.

Wenn ich das noch unter dem Aspekt des schon laut geäußerten Ansinnens, das Renteneintrittsalter für die reguläre Altersrente weiter nach oben setzen zu müssen, betrachte, liege ich wahrscheinlich endgültig richtig.

 

Na dann auf den Generationenvertrag und auf die Zukunft!