In ein paar Tagen ist es soweit: Die Zwangspause von etwas mehr als einem Vierteljahr findet nun doch ein recht jähes Ende. Ich habe sie nach allen Seiten gezogen – die Pause; mich im Kreis gedreht. Letztlich wusste ich eigentlich gar nicht mehr, welche Entscheidung denn nun die richtige wäre.
Mit jedem tieferen Darüber-Nachdenken wurde alles ein bisschen unwirklicher, fremder;
es rutschte merklich von mir fort. Die wenig einladenden äußeren Umstände, die eingeschränkten Möglichkeiten oder – sollte man besser sagen – die noch möglichen Unmöglichkeiten reduzierten meinen Enthusiasmus auf einen Ausschlag im untersten Bereich der Euphorie-Kurve.
Der Gedanke, so weiterzumachen, wie wir aufgehört hatten – ja. Der zweite Gedanke, dass eine ganze Menge darüber liegt, was man nicht einfach beiseiteschieben kann, machte wenig Lust auf mehr.
Dem anfänglichen Elan, viele Dinge zu erledigen – von diesem Berg, den ich immer weiter bestücke, mit Dingen, die tatsächlich mal einer erledigen müsste, der aber im Alltag meist nur weiter vor sich hin wächst – folgte in den letzten Wochen dieser ungewollten Auszeit ein ziemliches Loch.
Es stellte sich das Gefühl ein, dass in meinem Leben kein Stein mehr auf dem anderen bleibt.
Dieser Cocktail braute sich aus vielen Zutaten zusammen.
Jede für sich allein betrachtet, in geringer Dosis wäre durchaus gut verträglich gewesen, in Kombination aber waren sie eine äußerst unschöne Mischung, die ich nicht unbedingt so schnell noch einmal haben muss.
Es sind Dinge geschehen, die in keinem Zusammenhang miteinander standen, unterschiedliche Felder besetzten; aber ihr Berührungspunkt war der Zeitpunkt des Eintretens der Ereignisse.
Dieser war es, der sie letztlich alle miteinander verband.
Was ist existenziell?
Wir leben in einem Land, das immer noch zu den reichsten Ländern dieser Welt zählt.
Darf man dann Sorgen haben? Selbst in dieser Situation? Was ist angemessen?
Ist es eine Verhöhnung derer, die immer am unteren Ende der Skala zu Hause sind?
Sind es Luxusprobleme, die wir vor uns hertragen, die uns beschäftigen, für die uns andere vielleicht gar kopfschüttelnd belächeln würden?
Wann darf man ein Problem ein Problem nennen?
Wie weit dehnt sich diese Definition?
Wann bauscht man Kleinigkeiten auf und wann reduziert man größere Schwierigkeiten auf ein Minimum? Letzteres kann durchaus gut sein – um es zu überblicken und es bestenfalls anzugehen und aufzulösen.
Es kann aber auch aus der Taktik heraus geschehen, Minimalformate besser unter den Teppich kehren zu können – dorthin, wo man nicht mehr damit konfrontiert werden kann.
Ausblenden als vermeintlicher Lösungsweg.
Was fängt man an – mit zu viel Zeit?
Dieses Vierteljahr Innehalten ändert bei vielerlei Dingen die Sichtweise.
Man bekommt einen völlig neuen Blickwinkel; nicht nur auf den heimischen Garten, zu Zeiten, in denen man für gewöhnlich ja eigentlich gar nicht zu Hause ist.
Man stellt fest, wie bunt doch die Katzenvielfalt ist, die irgendwo in den Nachbarhäusern zu Hause sein muss und die mit schönster Gelassenheit deinen Garten belagert.
Ich blicke am Morgen durch das Fenster über dem Schreibtisch in den Sonnenaufgang, ohne in Eile zu verfallen, weil keine Eile mehr geboten war – für rein gar nichts.
Aber das alles sind Nebensächlichkeiten.
Ich habe dabei festgestellt, dass das nicht mehr mein Leben ist, dass einem die Dinge in extrem kurzer Zeit wegzurutschen drohen; dann, wenn Du den Sinn in manchem nicht mehr siehst.
Der Blick von außen ist nicht der Blick von innen, sage ich hier einfach am Rande.
Es beurteilt sich eine Situation sehr leicht, wenn man diese aus der Position des Außenstehenden – des Zuschauers – betrachtet. Die Tragweite, die Komplexität eröffnet sich eventuell mit dem bewussten Blick hinter die Dinge.
Ich habe das, was ich seit vielen Jahren tue, ganz bewusst begonnen.
Ich war mir ganz sicher, dass dies das Absolute, das einzig Richtige für mich ist – Beruf kommend von Berufung. So, wie es sich viele vielleicht wünschen und die wenigsten es schaffen, dies für sich zu realisieren. Wenn sich das Gefühl einstellt, dass alles unter dir wegrutscht, dann bist du dir auf einmal in gar nichts mehr sicher. Aber eines ist geblieben in all diesen Wochen & Monaten – die einzige wirklich feste Größe,
die – glaube ich – ein ganz besonderes Geschenk ist: die Freunde.
Sie waren einfach nur da.
Sie haben zugehört.
Sie haben Fragen gestellt.
Sie sind mit mir zusammen riesige Runden gelaufen, nicht zuletzt um den Kopf frei zu bekommen.
Wir haben immer wieder geredet, wenn es sein musste zum wiederholten Male über dieselben Themen.
Sie haben die Dinge von unterschiedlichen Seiten betrachtet, aus einem anderen Blickwinkel,
als er mir möglich wäre.
Wir haben zusammen gekocht und Wein getrunken und dabei über den Sinn unseres Lebens diskutiert.
Wir haben nächtelang am Telefon philosophiert, bis der Akku vor uns aufgegeben hat.
Wir haben gemeinsam festgestellt, was uns wirklich überflüssig erscheint und was uns tatsächlich fehlt.
Wir haben die gemeinsamen Kino-Abende, Kunst & Kultur vermisst.
Wir haben uns wechselseitig davon erzählt, welche Schätze in unseren Bücherregalen in Reihe Drei lagern, von deren Existenz wir gar nicht mehr wussten.
Wir haben Dinge verworfen und andere neu entdeckt.
Es waren letztlich die Freunde, die mich – jeder auf seine ganz eigene Art und Weise – nahezu dazu gezwungen haben, wieder loszugehen, allen Widrigkeiten zum Trotze, mit der alten Nonchalance wieder mitten hinein ins Leben – zurück in mein Leben.
Es sind die Menschen, deren Wert man nicht bemessen kann und die so großartig sind, dass ich keinen von ihnen vermissen möchte. Ihnen, allen zusammen, habe ich zu verdanken, dass sich am kommenden Mittwoch die Tür zu meinem Café wieder öffnet.
Sie haben mir die Kraft zurückgegeben, meine Zweifel loszulassen, um endlich weiterzumachen.
Auch wenn ich heute Nacht geträumt habe, dass es keinen Kuchen gab am ersten Tag.
Es fiel mir ein, als ich die Gäste sitzen sah, wohl Sekunden vor dem Erwachen.
Ich hatte vergessen welchen zu backen – im Traum.
Gleich einer Spirale aus Rauch verflüchtigte sich dieser Schrecken mit dem Betreten des neuen Tages. Ich habe ja noch fünf Tage Zeit. Noch ist nichts zu spät.
Und wahrscheinlich ist es tatsächlich so, dass man immer wieder neu beginnen kann.
Man muss es nur wollen und zulassen.
Und man braucht die Menschen, die immer noch an einen glauben; dann, wenn einem das selbst nicht mehr gelingen will. Man braucht Freunde, dieses grandiose Netzwerk, diesen unbedingt doppelten Boden im Leben.